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23.10.2011: Groß-Demo am BER

Rede des Sprechers der
Bürgerinitiative »Stahnsdorf gegen Fluglärm«
Wolfgang Brenneis
auf der Groß-Demonstration in Schönefeld
am Sonntag, 23. Oktober 2011

Vor 10 Tagen hat das Bundesverwaltungsgericht zum Nachtflugverbot entschieden.
In 224 Tagen am 03. Juni 2012 soll der Flughafen eröffnet werden. Wenn Sie heute
Abend zu Bett gehen, seien Sie sich eines bewusst: Sie haben noch genau 225
Nächte, in denen Sie halbwegs ungestört schlafen können. Genießen Sie deshalb
jede einzelne davon. Es werden die letzten ihres Lebens sein. Danach haben Sie
maximal fünf Stunden Nachtruhe – das muss Ihnen reichen, ihr restliches Leben
lang! Und das gilt für die Menschen östlich des Flughafens genauso wie für die Menschen
westlich davon. Das verbindet uns alle miteinander, über eine halbe Million
betroffene Menschen!
In den so verharmlosend bezeichneten „Nachtrandzeiten“ dürfen die Betreiber dieses
Flughafens bis zu 103 Maschinen über die Schlaf- und Kinderzimmer hinweg jagen –
mit den nachgewiesenen enormen gesundheitlichen Gefahren, die von Fluglärm insbesondere
in der Nacht ausgehen. Nicht umsonst hatte der Präsident des Umweltbundesamtes
im Vorfeld ein Nachtflugverbot von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr gefordert.
Begründet wird dies im Urteil so: „In den Nachtrandzeiten genieße der Lärmschutz
anders als in der Kernnacht nicht das höchste Gewicht. Die Belange der Anwohner
hätten deshalb hinter das private und öffentliche Verkehrsinteresse zurückzutreten.“
413 Tage nach dem 06. September 2010 ist es bitter in diesem Urteil weiter lesen zu
müssen, „die Veränderungen der Lärmbetroffenheit blieben in einem Unsicherheitsbereich,
der bei der Regelung des Flugbetriebes ohnehin mitgedacht werden müsse.“
Unabhängig von einer möglicherweise formaljuristisch richtigen Argumentation tragen
das Urteil sowie die überwiegenden Reaktionen von Vertretern aus Politik und
dem Flughafen nicht dazu bei, in der Sache selbst zu vermitteln, die betroffenen Regionen
zu befrieden und den Menschen ein wenig Vertrauen in den Rechtsstaat zurück
zu geben. Im Gegenteil: Die über eine halbe Million Betroffenen werden weiter
Flughafeneignern und Flughafenbetreibern gegenüber zu sehen, von denen sich keiner
um sie kümmert. Sie werden das Gefühl nicht los, dass staatliche Institutionen
und Politik ihre überlegene Position gegenüber den Bürgern nutzen, um sie bis an
den Rand des juristisch machbaren und möglicherweise darüber hinaus auszutricksen.
Vor diesem Hintergrund sind die freudigen, nahezu überschäumenden Reaktionen in
beiden Landesregierungen schwer verständlich. Das Urteil der obersten Bundesrichter
hat dem erklärten politischen Willen zwar Recht gegeben. Gleichwohl ist es nicht
mehr als ein Pyrrhussieg. Jetzt nämlich gilt wieder der Primat der Politik. Die bequeme
Zeit des Nichtstun, des Schielens auf die Rechtssprechung und das Wegducken
vor der Verantwortung ist nun vorbei. Insbesondere die brandenburgische Landesregierung
muss jetzt entscheiden, ob sie sich auf diesem Urteil ausruhen will oder tätig
werden will. Die Perspektive Ausruhen mag verlockend sein. Aber: Damit würde sie
sich nicht nur auf Dauer gegen einen großen Teil der brandenburgischen Bürgerinnen
und Bürger stellen. Sie nähme auch in Kauf, dass die bevölkerungsreichsten
Gebiete ihres Bundeslandes auf Dauer schlichtweg unbefriedet und unzufrieden
sind. Alternativ kann sie nunmehr erklären, was sie zum Schutz ihrer Bürger zu tun
gedenkt und damit dem Wählerauftrag nachkommen, der durch die Proteste der Bürger
und die erfolgreiche erste Stufe der Volksinitiative mehr als deutlich geworden ist.
Wir rufen aus Schönefeld der Politik zu: In unserer Demokratie herrscht Meinungsfreiheit.
Wo Meinungsfreiheit herrscht, herrscht auch Denkfreiheit. Und Denkfreiheit
heißt, in Alternativen zu denken, Optionen für die Gegenwart und die Zukunft zu finden.
Hört endlich auf, um diesen Flughafen wie um ein goldenes Kalb herum zu tanzen!
Hört endlich auf, Eure Flughafenpolitik als alternativlos hinzustellen! Das ist der
Offenbarungseid der Demokratie und führt zu einer immer größer werdenden Distanz
der Menschen zum Staat. Fangt endlich an, echte und ehrliche Optionen zu finden,
wie die Interessen des Flughafens und der Bevölkerung miteinander in Übereinstimmung
gebracht werden können! Nicht der Flughafen und nicht die Airlines, nicht die
Luftfahrtlobby und auch keine Wirtschaftsverbände haben Euch gewählt! Nein - wir,
das Volk, der Souverän hat Euch gewählt!
Eine echte und ehrliche Option ist mit Sicherheit keine dritte Startbahn!
Eine echte und ehrliche Option ist jedoch die elementare Erkenntnis: Der Konsensbeschluss
für den Standort Schönefeld war politisch motiviert und gegen alle Vernunft.
Und genau deshalb steht außer Frage: Wer so stadtnah und in einem so bevölkerungsreichen
Gebiet entgegen besseren Wissens einen Flughafen bauen will,
bindet sich als Eigentümer und Betreiber selbst in seinen Nutzungsmöglichkeiten.
Bemühen wir doch einmal einen Zeitzeugen, einen der drei Väter des Konsensbeschlusses,
den ehemalige Ministerpräsident Manfred Stolpe. Dieser sagte in einem
Interview in der Berliner Zeitung im Mai dieses Jahres: „Der Bund hatte sich entschieden,
sich auf zwei Luftdrehkreuze zu konzentrieren, Frankfurt am Main und
München. Mit einem 24 Std. Flugverkehr in Sperenberg wäre zumindest für München
eine ernste Konkurrenz erwachsen.“ Das heißt doch nichts anderes, als dass der
Standort Schönefeld bewusst gewählt wurde, um ein Drehkreuz zu verhindern! Die
heutige Politiker – und Betreibergeneration hat dieses Erbe angenommen und muss
nun mit den Hinterlassenschaften klarkommen. Wer jetzt meint, mit einem interkontinentalen
Drehkreuz Kasse machen zu können und dafür die Nacht zum Tage machen
will, der soll dies tun. Schließlich ist gegen öffentliche und private Einnahmen
und Schaffung von Arbeitsplätzen nichts einzuwenden. Aber dann bitte an einem
Standort, an dem sich solche Pläne auch verwirklichen lassen und nicht auf dem Rücken
von über einer halben Million unschuldiger Menschen.
Eine echte und ehrliche Option wäre ebenfalls, dass Politik und Betreiber nicht so
unreflektiert und inflationär mit dem Totschlagsargument „Arbeitsplätze“ umgehen.
Der Flughafen als Jobmaschine – jeder behauptet es, keiner hat es bisher nachvollziehbar
bewiesen. Die gebetsmühlenartig wiederholten bekannten Zahlen wie z.B.
40.000 neue oder 18.000 wegfallende Arbeitsplätze erscheinen als Mittel zum
Zweck, um die angebliche Alternativlosigkeit der Flughafenpolitik zu manifestieren,
dieses Projekt in hellem Glanz erleuchten zu lassen und bei der Bevölkerung mit
dem Schreckgespenst Arbeitsplatzverlust für den Flughafen Stimmung zu machen.
Wo finden wir den wissenschaftlich erbrachten Nachweis der zusätzlichen und sozialversicherungspflichtigen
Arbeitsplätze?
Ich möchte meine heutigen Worte mit einem weiteren Zitat von Herrn Stolpe abschließen.
In dem genannten Interview sagte er zudem: „Ich bin damals zum Frankfurter
Flughafen gereist, aber es war dort nicht das ganz große Drama. Und ich dachte
mir, unsere Brandenburger sind ja eigentlich hart im Nehmen.“ Da rufen wir so-
wohl dem ehemaligen wie auch dem jetzigen Ministerpräsidenten zu: Richtig, wir und
auch unsere Berliner Freunde sind hart im Nehmen. Härter als sich so mancher vorstellen
kann. Und genau deshalb werden mir nicht zurückweichen, wir werden uns
nicht darauf einstellen, dass unsere Heimat zerstört wird, wir werden nicht stoisch
Lärm und Abgase ertragen. Stattdessen werden wir weiterhin für unsere Ziele kämpfen:
• Kein Überflug von besiedelten Gebieten, wenn außen rum geflogen werden
kann!
• Keine Nachtflüge von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr an diesem Standort!
• Kein interkontinentales Drehkreuz an diesem Standort!
• Kein unabhängiger Parallelbetrieb an diesem Standort!