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20.11.2010: Rede Matthias Piaszinski

Eine Region wehrt sich

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident Matthias Platzeck,
sehr geehrte Frau Bundestagsabgeordnete Andrea Wicklein,
sehr geehrte Herren Bürgermeister,
liebe Mitstreiter der ersten Stunde
Marela Bone-Winkel aus Berlin,
Andreas Hess aus Teltow,
Matthias Schubert aus Kleinmachnow,
liebe Vertreter der anderen Bürgerinitiativen,

herzlich willkommen zur seit Menschengedenken ersten Demonstration in Stahnsdorf.

Wir stehen vor einer einmaligen Situation: Vor 14 Tagen haben wir das Bündnis „Berlin Brandenburg gegen neue Flugrouten“ begründet. Darin vereint sind der gesamte Süden Berlins von Wannsee bis Köpenick, die sich anschließenden Landkreise und Kommunen von Potsdam über Stahnsdorf bis Zeuthen. Das gab es noch nie. Und es zeigt die Betroffenheit zehntausender von Familien der plötzlich brutal über uns hereingebrochenen Planungen über die Flugrouten des neuen Flughafens Schönefeld, die quer über unsere Heimat führen sollen.

Ich begrüße daher auch die Mitstreiter aus

  • Schönefeld,
  • Lichtenrade und Mahlow Nord,
  • Kleinmachnow und Teltow,
  • von den Bürgerinitiativen KfBerlin und Wannsee,
  • Potsdam,
  • Rangsdorf und
  • Zeuthen,

deren Transparente hier zu sehen sind. All diese Menschen drücken die Besorgnis von über 750.000 Betroffenen aus.

Seit Wochen bekunden wir nun schon im engsten Zusammenwirken aller Bürgerinitiativen der Region auf Demonstrationen in Teltow, Kleinmachnow, Berlin, Lichtenrade, Zeuthen, heute in Stahnsdorf und erneut am 12.12.2010 in Kleinmachnow unseren unbeugsamen Willen, dass wir uns mit den am 6. September 2010 aus der Tasche gezauberten neuen Flugrouten - hier genau über uns (nach oben zeigen) niemals abfinden werden.

Wie zahlreiche andere Kommunen und Landkreise gingen auch wir Stahnsdorfer davon aus, nein, es wurde uns sogar amtlich versichert, dass wir vom Fluglärm nicht betroffen sein würden. Wir sind hier wegen des grünen Charakters der Landschaft und wegen der Ruhe entweder wohnen geblieben oder haben – und hier meine ich vor allem tausende junger Familien mit Kindern - aus denselben Gründen Lebensentscheidungen getroffen und sind hierher gezogen.

Unter jenen, die in den letzten Jahren neu zugezogen sind, sind auch Menschen, die vor dem drohenden Fluglärm in anderen Regionen unseres Landes buchstäblich hierher geflohen sind.

Als von der brandenburgischen Landesplanung, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, ich wiederhole, von der Landesplanung ausgewiesenes Siedlungsgebiet hat sich die Einwohnerzahl in Stahnsdorf von 1993 bis heute auf 14.200 mehr als verdoppelt.

Und dies geschah im Vertrauen auf die Aussagen nicht von irgendwem, sondern von Aussagen staatlicher Behörden und im öffentlichen Besitz befindlicher Einrichtungen und Unternehmen - wie z.B. dem Flughafen BBI.

Hier nebenan (mit linkem Arm hinzeigen) - in das Neubaugebiet Grashüpferviertel zogen nach der Standortentscheidung des BBI und bis in die letzten Tage hinein hunderte von Familien. Sie können sich heute selbst ein Bild davon machen: Die Menschen zogen nicht etwa in Villenviertel, sondern in kleine Einfamilienhäuser, Doppelhaushälften und Reihenhäuser, für die sie sich auf Jahrzehnte hinaus verschuldet haben, um im Grünen und vermeintlich in Ruhe leben zu können.

Wir alle, die heute hier stehen, fühlen uns von unseren Politikern, die in den letzten 14 Jahren bis heute ein Mandat zum verantwortlichen Handeln gegenüber uns erhalten haben, also auch von Ihnen, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, betrogen.

Wir wissen sehr genau, wer die damalige - visionslose - Standortentscheidung zu verantworten hat, die Ministerpräsident Manfred Stolpe bei einer Informationsveranstaltung am 22. September 1995 in Königs Wusterhausen als „menschenfeindlich“ kritisiert hat.

Aber: Der BBI wurde von Anfang als ein Stadtflughafen geplant. Wir erwarten zu Recht von unseren Politikern, dass Standortentscheidungen für Infrastrukturvorhaben dieser Größenordnung vorausschauend für einen Zeitraum von 50 bis 100 Jahren getroffen werden. An einer solchen Weitsicht fehlt es leider unseren heutigen Volksvertretern. Und ich sage Ihnen: Dies ist ein ganz gefährliches Zeugnis, Herr Ministerpräsident.

Jeder, der diese gigantische Standort-Fehlentscheidung damals traf oder sie heute umzusetzen hat, musste damals und muss erst Recht heute wissen, dass an diesem Ort kein internationals Drehkreuz mit Tag- und Nachtflugverkehr im unabhängigen Parallelabflugverfahren betrieben werden kann.

Warum wohl haben alle angefragten privaten Unternehmen dankend abgelehnt, diesen Flughafen zu betreiben? Weil von Anfang an – für alle betriebswirtschaftlich denkenden Menschen klar war, dass die staatlichen Planungen technisch und finanziell niemals umzusetzen waren – außer das Land Berlin, der Bund und das Land Brandenburg kommen auf die Idee, den Flughafen mit Hilfe von Steuergeldern zu bauen und zu betreiben.

Es handelt sich hier eben nicht um ein Kommunikationsproblem, wie es von Ihrem Minister und Staatssekretär unerträglich oft bagatellisiert wird. Hier liegt ein grundsätzlicher Planungsfehler vor, der nun auf Kosten der Gesundheit der Menschen in Berlin und Brandenburg korrigiert werden soll. Dazu sagen wir: Mit uns nicht!

Dieser Flughafen, der mit Hilfe unserer Steuergelder gebaut wird, der uns gehört, darf niemals gegen uns und die Gesundheit unserer Kinder und Enkelkinder eingesetzt werden.

Und hier beginnt die Verantwortung der heute Regierenden: Des Herrn Bundesverkehrsministers Ramsauer für die Bundesregierung, des Herrn Wowereit für das Land Berlin und für Sie, den Ministerpräsidenten von Brandenburg. Und wir wissen inzwischen alle, dass dieser Flughafen im Besitz der drei Gebietskörperschaften ist, dass Sie im Aufsichtsrat dieses Flughafens vertreten sind und damit direkt mitverantwortlich, für alles was im Zusammenhang mit dem BBI geschieht.

Sie, und die anderen zwei Gesellschafter der Flughafengesellschaft, Sie haben die Musik bestellt, die die Deutsche Flugsicherung jetzt spielt.

In diesem Zusammenhang möchten wir Sie an Ihren Amtseid erinnern, in dem Sie geschworen haben, Ihre ganze Kraft dem Wohle der Menschen des Landes Brandenburg zu widmen, ihren Nutzen zu mehren, Schaden von ihnen abzuwenden und Gerechtigkeit gegen jedermann zu üben.

Wir sind froh, dass eine von uns von Anfang an erhobene Forderung inzwischen Allgemeingut und Leitlinie auch Ihrer Politik, Herr Ministerpräsident, geworden ist, nämlich die, dass bei der Festlegung von Flugrouten und von An- und Abflugverfahren nach der Sicherheit zuerst der Schutz vor Fluglärm kommt und erst ganz am Ende die Wirtschaftlichkeit steht.

Nur, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter, gemeint ist natürlich nicht nur die Wirtschaftlichkeit der Airlines, sondern auch die des Flughafens an sich. Und wenn wir unter dem - auch von Ihnen - akzeptierten Gesichtspunkt des Lärmschutzes eben keinen rund um die Uhr arbeitenden, hochprofitablen Flughafen hinbekommen - was ja allen von Anfang an klar sein musste, dann müssen die Finanzierungsverträge überprüft und die Rahmenbedingungen neu verhandelt werden. Und an dieser Stelle müssen wir Ihnen dann, sehr geehrter Herr Platzeck, die Frage stellen: Was ist es Ihnen - als Ministerpräsident unseres Landes - in Geld gerechnet wert, dem Wohle der Menschen zu dienen und Schaden von ihnen abzuwenden?

Unsere Antwort darauf lautet: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

Bitte tun Sie nicht so, als hätten Sie mit den Flugroutenvorschlägen nichts zu tun. Noch vor wenigen Tagen hat die FBS, in deren Aufsichtsrat Sie sitzen, erklärt, dass ein Verzicht auf das unabhängige parallele Startverfahren, eines der Grundübel in der derzeitigen Situation, und damit auch eine Reduzierung der Kapazitäten nicht infrage käme.

Sehr geehrter Herr Platzeck, wir sind gänzlich unzufrieden mit Ihren öffentlichen, butterweichen Äußerungen in den letzten Tagen in Königs Wusterhausen, in Zeuthen und nach der gemeinsamen Kabinettsitzung mit Berlin!

Erklären Sie uns bitte, was verstehen Sie unter Lärmschutz? Wo wohnen die Betroffenen, von denen Sie immer sprechen? Gehören wir dazu? Fühlen Sie sich von dem hier zu hörenden Lärm unserer Simulatoren betroffen oder etwa nur belästigt? Wir müssen diese Antworten einfordern, weil wir zu den von uns gewählten Volksvertretern, auch zu Ihnen, das Vertrauen verloren haben und gern verstehen möchten, was Sie meinen, wenn Sie so etwas sagen.

Und gestatten Sie mir eine persönliche Anmerkung: Bis vor wenigen Wochen fühlten sich meine Frau, meine beiden kleinen Kinder und ich, unabhängig der Tatsache, ob wir in Berlin oder Brandenburg gewohnt haben, einfach als Bürger. In diesen Tagen erfahren wir aber, dass unser Ministerpräsidenten sehr fein unterscheidet in Bürger 1. und 2. Klasse. Was meinen Sie damit? Wissen Sie was, Herr Platzeck? Sie einen nicht, weder Ost mit West, noch Brandenburg mit Berlin. Nein, nicht einmal innerhalb Ihres Bundeslandes einen Sie, Herr Platzeck. Sie spalten die Gesellschaft.

Wir wollen nicht, dass hier ein Grad weniger abgebogen wird, dort ein Zehntelgrad steiler aufgestiegen oder auf der Rollbahn ein wenig kürzer gelandet wird, all dies, was Sie beschönigend Optimieren nennen.

Nein, wir wollen keine optimierten Flugrouten über unseren Köpfen, wir wollen überhaupt keine Flugrouten über uns.

Und schon gar keine schweren Jets, keine A 380, keine A 340-400, die hier drüben (hinzeigen), im Sommer, vollgetankt in 800 bis 1000 Metern und damit lauter als 80 Dezibel über die im Ausbau befindliche Grundschule „Heinrich Zille“ oder den Neubau des Stahnsdorfer Gymansiums, über unsere Horte und unsere Kindertagesstätten mit tausenden Kindern und Jugendlichen hinwegdonnern.

Und wir fordern die dafür notwendigen Entscheidungen der politisch Verantwortlichen im Bund, im Land Berlin und im Land Brandenburg ein.

Sehr geehrter Herr Platzeck, natürlich wissen auch wir, dass der Lärm in Ortschaften, die noch näher am BBI liegen, beispielsweise in Mahlow/Blankenfelde, schlimm sein wird.

Aber das haben nicht wir, die Menschen die hier stehen, zu verantworten. Wir können nicht jetzt und auch nicht später - unter dem Deckmantel irgendeiner Solidarität - für etwas herangezogen werden, für das keiner von uns auch nur eine Winzigkeit von Verantwortung trägt. Und es ist doch geradezu absurd, den Lärm, von dem bisher relativ wenige Orte betroffen waren, die aber mehr als ein Jahrzehnt Zeit hatten, sich darauf einzustellen, z.B. wegzuziehen oder die Lärmschutzmassnahmen oder Entschädigungen entgegenzunehmen, nunmehr auf halb Brandenburg und Berlin zu verteilen.

Käme denn als eine Alternative zur flächendeckenden Verlärmung nicht auch eine Umsiedlung der Menschen dort in Frage? Oder ist Ihnen das einfach nur zu teuer?

Oder was halten Sie davon, den Umgang mit den Mahlowern auf eine faire Grundlage zu stellen, die tatsächlichen Schäden auszugleichen und nicht wie bisher, beim Schallschutz um jedes einzelne Fenster, um jeden einzelnen Ventilator, um jeden Zentimeter Mauerwerk zu zocken?

Eines aber stimmt mich nachdenklich: Wie kommt es, dass die Zahl der Einwohner in Mahlow/Blankenfelde seit Anfang 1996, seit der Standortentscheidung für den BBI, von 13.000 auf fast 23.000 angewachsen ist? Mehr als ein Drittel der Bürgerinnen und Bürger dort ist erst nach der Entscheidung, Schönefeld zum BBI auszubauen, dorthin gezogen.

Und wissen wir eigentlich alle, dass Schönefeld schon seit 1934 ununterbrochen Flughafenstandort war?

Wir hingegen in unserer Region hatten keine Chance zu reagieren. Niemand. Nicht diejenigen von uns, die schon immer hier gewohnt haben, wie die 75- jährige Stahnsdorferin, die hier in ihrem Haus geboren wurde und die so betroffen war, als die Flugroutenpläne ruchbar wurden, dass sie in wenigen Tagen mehrere hundert Unterschriften einsammelte. Sie ist sicher heute auch unter uns.

Und auch nicht die tausenden Familien, die in den letzten Jahren hier nach Teltow, Kleinmachnow oder Stahnsdorf - in diese vermeintlich vom Fluglärm nicht betroffene Region - gezogen oder zurückgekommen sind die ihre fast unverrückbare Lebensentscheidung mit Kauf, Bau oder Sanierung eines kleinen Häuschens getroffen haben und die sich jetzt bitter betrogen sehen.

Sehr geehrter Herr Platzeck, hier stehen politisch und gesellschaftlich aktive Menschen, die Sie zum Ministerpräsidenten gewählt haben. Vor Ihnen stehen die Wähler, nicht die Nichtwähler. Und ich verspreche schon heute, dass wir als Bürgerinitiative den Menschen mitteilen werden, wer sie in dieser Situation allein gelassen hat. Und dies gerät auch nicht in Vergessenheit: Denn die Flugzeuge fliegen immer, jeden Tag und sogar mehr als 100mal jede Nacht - die nächsten 20, 30, 40 oder 50 Jahre.

Wenn nur ein Drittel Ihrer bisherigen Wähler in unserem Wahlkreis, das sind gerade mal 4.500, also weniger Menschen als hier auf dem Platz stehen, ihre Stimme an andere Parteien verleiht, dann haben Sie, dann hat unser bisher eher ruhige Landtagsabgeordnete Sören Kosanke, den Wahlkreis an andere Parteien verloren. Und wenn nur ein Fünftel Ihrer Wähler im Wahlkreis Zeuthen seine Stimme anderen Parteien zuwendet, so haben Sie auch diesen Wahlkreis verloren. Ähnlich sieht es in Michendorf, Schwielowsee, Werder und anderen Wahlkreisen aus.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, kehren Sie zum Grundsatz der Verlässlichkeit des Staatshandelns zurück!

Die alten, ursprünglichen Flugrouten, auf denen das Planfeststellungsverfahren basierte, müssen verbindliche und alleinige Grundlage aller weiteren Flugroutenplanungen sein. Es dürfen keine neuen Betroffenheiten für Gemeinden und Bürger geschaffen werden, die bei der Genehmigung des BBI nicht vorgesehen und nicht erkennbar waren.

Hören Sie bitte auf, alles zu relativieren und nebulös zu verkleistern!

Und: Sagen Sie uns, dass demnächst der Aufsichtrat tagen und die Geschäftsführung der FBS beauftragen wird, sowohl auf Nachtflüge als auch auf den unabhängigen Parallelverkehr zu verzichten. Der Verzicht auf Nachtflüge ist übrigens die größte mögliche Entlastung für Mahlow/Blankenfelde, ohne dass andere neu verlärmt werden.

Nehmen Sie Einfluss auf den zuständigen Bundesverkehrsminister, mit dem Ziel, dass dieser die Deutsche Flugsicherung anweist, endlich mit allen Daten, Zahlen und Abwägungen herauszurücken und somit die Transparenz geschaffen wird, die alle in den letzten Wochen ständig im Munde führen - aber nicht einhalten.

Beteiligen Sie sich nicht weiter an dem Pingpong-Spiel, an den Hin- und Hergeschiebe der Verantwortung zwischen der Flughafengesellschaft, den Eigentümern, der Bundes- und den beiden Landesregierungen, der Deutschen Flugsicherung und - der Fluglärmkommission.

Diesem Gremium, der Fluglärmkommission den schwarzen Peter zuzuschieben ist eine Verhöhnung der Betroffenen und eine schäbige Delegation Ihrer politischen Verantwortung. Dieses Gremium ist weder nach Gesetz, noch von seinem Know-how, noch von seinen Kapazitäten, noch in seiner Zusammensetzung in der Lage, verträgliche Flugrouten zu kreieren.

Diese Aufgabe und Verantwortung obliegt schlussendlich ausschließlich den von uns auf Zeit gewählten Politikern.

Stellen Sie sich Ihrer Verantwortung.

Lassen Sie Ihren Erklärungen endlich Taten folgen!